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(c) Rüdiger Lange

(c) Rüdiger Lange

Das Versprechen

Trübsinnig blickte er auf das weite Meer hinaus, die Arme fest um seine angezogenen Knie geschlungen. Die ganze Nacht hatte er sich kaum von der Stelle gerührt und nun war der neue Tag endlich angebrochen. Die Sonne lugte bereits hinter dem Horizont hervor und tauchte den Himmel in ein blasses, rotes Licht.

Nach und nach vertrieben die Strahlen die Dunkelheit der Nacht, der Himmel hellte sich zu einem blassen Blau auf, doch es half nicht gegen die Dunkelheit in seinem Herzen.

An vielen anderen Morgen, an denen er mit Blick auf das Meer erwacht war, hatte er sich an der Schönheit des Sonnenaufganges erfreut, aber heute fühlte er nichts. In ihm war eine unbeschreibliche Leere, die auch das schönste Naturschauspiel nicht vertreiben konnte. Er löste seine Arme, streckte seine Beine aus und stützte sich auf seine Hände ab, die nun auf dem noch kalten Sand neben ihm ruhten. Seine Gedanken wanderten und seine Finger gruben sich in den Sand.

Als die Sonne noch ein Stück weiter aufgegangen und nun bereits halb zu sehen war, erhob er sich schwerfällig. Weicher Sand klebte an seinen Händen und seiner Kleidung. Nachdenklich rieb er seine Handflächen gegeneinander, um sie vom Sand zu befreien, dann versuchte er ihn auch von seiner Kleidung so gut es ging abzuklopfen. Den ledernen Brustpanzer, den er über dem Hemd trug würde er später gründlich reinigen müssen, denn der Wind hatte den Sand in der Nacht in alle Ritzen geweht und er hörte das Knirschen bei jeder Bewegung.
Doch im Moment waren diese Gedanken nur eine Ablenkung von dem, was ihm nun bevorstand.
Erneut beugte er sich zu Boden und hob ein kleines, unscheinbares Holzgefäß auf, das neben ihm gestanden hatte. Vorsichtig hielt er es in den Händen, seine Miene wirkte verloren und entschlossen zugleich.
Er hatte ein Versprechen einzulösen.

Mit dem Gefäß in der Hand schritt er in die Fluten und watete hinein bis er fast bis zu den Knien im Wasser stand. Feuchtigkeit und Kälte stiegen durch seine Stiefel in ihm auf, aber er ignorierte beides.
Die seichten Wellen umspielten seine Beine und er konnte, wie aus weiter Ferne, ein helles und unbeschwertes Lachen hören.
Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass dort niemand war der lachte. Niemand stand am Strand und lachte darüber, wie lächerlich er gerade aussehen musste. Es war überhaupt niemand sonst am Strand. Das Lachen war lediglich in seinem Kopf.
Es war eine Erinnerung an eine frühere Zeit, die längst vergangen war.
Für einen Moment schloss er die Augen und dachte an die vielen glücklichen Momente zurück, in denen er dieses wundervolle Lachen gehört hatte. Es schien ihm, als sei das alles unendlich lange her und nur ein ferner, schöner Traum.
Als er die Augen wieder öffnete lief ihm eine Träne über die Wange und landete auf dem Gefäß, dass er nun traurig betrachtete.

Vorsichtig hob er den Deckel des Gefäßes und ließ ihn unachtsam ins Wasser fallen. Mit einem Platschen schlug er auf der Oberfläche auf und wurde von den Wellen fort getragen, doch auch das beachtete er nicht.
Er holte tief Luft, dann drehte er das Gefäß zur Seite, sodass der Wind seinen Inhalt ergreifen und weit auf das Meer hinaus tragen würde.
Wie dichter Nebel zog die Asche an ihm vorbei, schwebte einen Moment in der Luft und verschwand schließlich zwischen den Wellen.
„Leb‘ wohl“, murmelte er mit heiserer Stimme und es war als würde eine zweite Stimme die Worte leise an ihn erwidern.
Er senkte seinen Blick; Tränen rannen ihm in kleinen Rinnsalen über die Wangen während seine Hand sich an das Gefäß klammerte und sein Körper sich in Trauer schüttelte.

Für eine Weile stand er einfach nur da; seine Kopf voller Gedanken und doch leer, sein Inneres ein Strudel aus Emotionen, alles um ihn herum war still.
Als er schließlich wieder aufblickte war die Sonne bereits vollends aufgegangen und strahlte ihm unbekümmert entgegen.
Er hatte sein Versprechen eingelöst und sie zum Meer gebracht, aber was sollte er jetzt ohne sie tun?
Er hatte ihr auch versprechen müssen nicht aufzugeben, aber gerade wollte er nichts anderes tun als das.
Einfach alles hinwerfen, sich für immer verkriechen, vielleicht sogar tiefer ins Meer hineingehen und darauf warten, endlich wieder mit ihr vereint zu sein, schien im Moment mehr als verlockend zu sein.
Warum war gerade sie diesem schrecklichen Krieg zum Opfer gefallen?
Er kämpfte an vorderster Front, brachte sich in gefährliche Situationen und sie war es, die den Preis dafür bezahlen musste.
Ein Pfeil, von einem Feigling geschossen, der sie in den Rücken getroffen hatte, war ihr Ende gewesen.

Schleichend wandelte sich seine Verzweiflung in Wut um je länger er darüber nachdachte und sich die Geschehnisse in Erinnerung rief.
Mit einem Aufschrei schleuderte er das Gefäß in die Fluten.
Sie würden dafür bezahlen.
Er würde dafür sorgen, dass der Krieg ein Ende fand – auch wenn es das Letzte war, was er tat.
Er musste weiter kämpfen.
Er würde weiter kämpfen.
Für sie.
Denn das war sein zweites Versprechen gewesen.

~ 832 Wörter inkl. Titel

Behind the scenes

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DE_Entw1 - buntHallo und willkommen zurück zu einem neuen Jahr Dein Bild – Eine Geschichte hier auf DF.PP Entertainment!

Eigentlich sollte dieser Beitrag schon letztes Jahr veröffentlicht werden, damit wir 2016 mit etwas positiverem beginnen können, aber irgendwie war es plötzlich Sonntag und ich hatte es nicht geschafft den Beitrag fertig zu machen…

Also fängt das neue Jahr eben mit einem Abschluss für das Alte an.

Und nur damit ihr Bescheid wisst: Fairy und ich hatten uns nicht abgesprochen Geschichten in einem ähnlichen Ton zu schreiben! Das hat sich einfach so ergeben…

Das auf dem Bild ist übrigens der morgendliche Strand am Ostseebad Binz. ;)

PoiSonPaiNter

P.S. Ihr wollt auch eine Geschichte zu einem eurer Bilder? Dann lest hier nach wie es geht: Dein Bild – Eine Geschichte.

Die Rechte des Bildes liegen bei Rüdiger Lange, die der Geschichte bei mir. Eine Nutzung oder Weitergabe ist ohne unsere jeweilige Genehmigung nicht erlaubt.

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Lies auf Deutsch

EN_Entw1 - buntTranslation follows soon

P.S. You want to have a story for one of your pictures as well? Read here how it is done: Your Picture – A Story.

The rights for the story are mine, the ones for the pictures belong to Rüdiger Lange. Story and Picture are not to be used or copied without consent of either.