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(c) Rüdiger Lange

(c) Rüdiger Lange

Erinnerungen und Lasten

Nachdenklich saß der Priester auf der Bank und betrachtete die Muster, die die Sonne auf der Wiese zeichnete, wenn sie ihren Weg zwischen den Bäumen hindurch bis zum Boden fand. Er seufzte und legte den Kopf in den Nacken. Seit anderthalb Jahren war es immer das gleiche, wenn er sich an der Natur erfreuen wollte: Seine Gedanken schweiften unweigerlich zu dem Besucher, den er am vorletzten Weihnachten beherbergt hatte.
„Herr Jung? Hier sind Sie! Es gibt jetzt gleich Mittagessen.“, meinte eine Krankenschwester als sie sich dem Priester langsam näherte.
Christoph Jung warf der jungen Frau einen fragenden Blick zu.
„Seit wann werden denn die Kurgäste persönlich abgeholt?“, fragte er und lächelte.
Die Schwester druckste etwas herum, bevor sie schließlich sagte: „Nun ja… Der Arzt, der Ihnen die Kur verschrieben hat, ist ein alter Bekannter von mir. Er meinte wohl, es sei angebracht, dass ich ein Auge auf Sie habe.“
Der Priester schnaubte wütend. Sein Arzt war also genauso schlimm wie der Bischof, der ihn nahezu genötigt hatte sich eine Auszeit zu nehmen.

Gut, er gestand ein, dass er von außen betrachtet wohl etwas wunderlich geworden war. Ein Fehler, der den Bischof hatte aufmerksam werden lassen, war es sicherlich gewesen eine Einsicht in die Geheimarchive des Vatikan zu beantragen. Im Nachhinein sah Jung ein, dass diese Aktion nicht ganz durchdacht gewesen war. Aber er hatte mehr über die Inquisition erfahren wollen. Er wollte wissen, ob es in den Aufzeichnungen der Kirche irgendeinen Hinweis auf eine Weltentrennung gab. Er wusste, dass eine solche Trennung stattgefunden hatte, in dem Punkt – wie in vielen anderen auch – hatte sein damaliger Besucher Agilof Recht behalten, am Ende hatte er die Wahrheit erkannt.
Die Tatsache, dass der Priester im vergangenen Monat während einer Messe zusammengebrochen war, hatte dann schließlich dazu geführt, dass der Bischof entschieden hatte, dass Jung mal eine Pause brauchte, wie er es ausdrückte.

„Herr Jung? Alles in Ordnung?“, riss ihn die besorgte Frage der Krankenschwester aus seinen Gedanken.
„Jaja… alles gut. Ich war nur in Gedanken. Wenn ich jetzt mitkomme, lassen Sie mich dann nach dem Essen in Ruhe?“ Die Frage hatte weit unfreundlicher geklungen als beabsichtigt.
„Entschuldigung“, brummte Jung betreten.
„Schon gut. Es ist meine Schuld. Ich wollte Sie nicht bevormunden.“
„Ach, Sie machen ja nur Ihren Job. Aber es ist eben nervig, dass immer alle meinen, Sie wüssten was gut für mich ist.“
„Aber Sie sehen doch ein, dass es Besorgnis erregend ist, wenn Sie während einer Messe zusammenbrechen.“
„Tzz, das war halb so schlimm. Ich hatte in den Tagen zuvor wenig Schlaf und war vor der Messe nicht dazu gekommen etwas zu essen.“
„Ja, und das ist nicht Besorgnis erregend?“
Inzwischen hatte Jung sich erhoben und ging neben der Krankenschwester her zum Kurhaus zurück.
„Nicht sonderlich. Ich hatte eben Wichtigeres zu tun.“
„Herr Jung, nichts ist so wichtig, dass Sie dafür einen solchen Raubbau an Ihrem Körper betreiben sollten.“
Der Priester lächelte müde und meinte: „Sie haben vermutlich Recht. Ich werde in Zukunft besser auf mich Acht geben.“
„Na, dann will ich Sie nach dem Essen auch vorerst in Ruhe lassen“, meinte die Krankenschwester und verabschiedete sich lächelnd vorm Speisesaal von Jung.

Nach dem Mittagessen wanderte Jung zurück zu der Bank im Park. Allerdings setzte er sich diesmal nicht wieder hin, sondern ging zwischen den Bäumen umher. Er ließ sich dabei noch einmal das Gespräch mit der Krankenschwester durch den Kopf gehen. Ja, sie hatte Recht, er musste auf sich Acht geben, aber sie verstand nicht, wie schwer die Schlechtigkeit der Welt auf seinen Schultern lastete. Wie oft schon hatte er sich gewünscht, dass er den Elfen Agilof niemals getroffen hätte. Agilof hatte ihm zum Abschied gesagt, dass es dank Menschen wie ihm noch Hoffnung für die Welt gab. Der Elf hatte Jung die Augen geöffnet. Der Priester war schon immer sehr sozial engagiert gewesen, aber seit anderthalb Jahren hatte er ständig das Gefühl, dass er nicht genug tat. Letztlich hatte ihn dieses Gefühl sogar in die Kur gebracht. Ein Umstand, der ihn mehr als alles andere störte. Er hasste es zur Untätigkeit verdammt zu sein.
Jung seufzte und schlenderte zwischen den Bäumen hindurch bis zu der freien Fläche. Er schloss die Augen und wandte sein Gesicht der Sonne zu, die sich ihren Weg durch den Dunst, der den Himmel bedeckte, bahnte. Obgleich es heute recht diesig war, konnte die Sonne einiges an Kraft aufbringen, sodass es angenehm warm war. Müde ließ sich der Priester an einem der Bäume nieder, legte die Arme locker über die angezogenen Beine und lehnte den Kopf mit geschlossenen Augen nach hinten gegen die raue Borke. „Ach Agilof, wenn du wüsstest, wie Recht du hattest. Ich habe die Wahrheit erkannt und bin fast nicht im Stande sie zu ertragen.“, raunte er vor sich hin. Bald darauf war er eingenickt.

„Herr Jung? Alles in Ordnung?“, weckte ihn eine Stimme neben ihm.
Langsam öffnete der Priester die Augen und sah auf. Vor ihm stand die Krankenschwester vom Mittag. Sie hatte eine Handtasche über die Schulter gehängt. Scheinbar hatte sie Feierabend.
„Herr Jung?“, fragte sie erneut, als Jung nicht reagierte.
„Doch, doch, alles bestens. Ich bin wohl eingenickt.“, meinte Jung und erhob sich müde aus seiner mittlerweile doch eher unbequemen Position.
„Ist wirklich alles in Ordnung? Sie sehen blass aus. Außerdem schlafen unsere Kurgäste eher selten im Park.“
„Ach, ich war nur in Gedanken und dann bin ich wohl eingeschlafen. Es war so angenehm warm in der Sonne.“, brummte Jung und wechselte dann das Thema, indem er hinzufügte: „Und Sie haben Feierabend?“
„Richtig, habe ich. Auf dem Weg zum Bus sah ich Sie hier sitzen.“
„Ich hoffe, Sie verpassen jetzt nicht wegen mir den Bus?!“
„Ach, ist nicht weiter schlimm. Der nächste kommt in einer halben Stunde.“
Nebeneinander gingen die beiden zu einer der Parkbänke und ließen sich nieder. Es begann bereits zu dämmern.
„Sie müssen jetzt aber nicht hier warten, bis mein Bus fährt. Es gibt gleich Abendessen. Sie sollten lieber zurückgehen, Herr Jung.“
„Na… wenn Sie schon wegen mir den Bus verpassen, werde ich Sie jetzt wenigstens nicht alleine hier warten lassen. Ich werde schon nicht verhungern…“, winkte der Priester ab.
„Sie haben mir doch heute Mittag erst versprochen mehr auf sich Acht zu geben.“
„Das werde ich auch, aber gerade habe ich so wie so keinen Appetit.“
„Darf ich Sie fragen, was Sie so sehr beschäftigt, dass nichts anderes mehr wichtig ist?“, fragte die Krankenschwester und sah zu dem größeren Priester auf.
„Sie dürfen fragen, aber ich werde nicht antworten. Sie würden es nicht verstehen. Manchmal glaube ich ja selber, ich werde verrückt, wenn ich an den Auslöser meiner jetzigen Situation denke.“
„Verraten Sie mir denn wann und wie es – was auch immer es ist – angefangen hat?“ Die Krankenschwester wollte nicht locker lassen.
„Es hat vor anderthalb Jahren begonnen, als ich Besuch von einem bis dato Fremden hatte. Wie gesagt: Oft zweifle ich selbst an meinem Verstand, wenn ich daran zurück denke.“
Jung seufzte und erhob sich.
„Vielleicht gehe ich jetzt wirklich besser zurück. Nachher werde ich noch vermisst. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend. Bis dann.“ Damit ließ der Priester die junge Frau stehen und ging zum Kurhaus zurück.
Diese fühlte sich zwar etwas vor den Kopf gestoßen, aber andererseits kannte sie den Mann ja auch gar nicht. Vielleicht ergab sich während seines Aufenthalts hier ja noch mal die Gelegenheit für ein Gespräch. Sie hatte den Eindruck, dass er eine riesige Last mit sich herumschleppe, die er mit niemandem teilen konnte oder wollte.

Jung begab sich im Kurhaus sogleich auf sein Zimmer. Ohne sich umzukleiden legte er sich im halbdunkeln auf sein Bett. Er verschränkte die Arme hinterm Kopf und starrte die Decke an. Er hatte die Frau nur ungerne so stehen lassen, aber er hatte mittlerweile gelernt, seine eigenen Probleme hinter allem anderen zurück zu stellen. Außerdem konnte er doch niemandem erzählen, dass ein Elf ihm vor Augen geführt hatte, wie schlecht die Menschheit war. Jung zog eine Hand hinter seinem Kopf hervor und holte etwas aus seiner Hosentasche hervor. Das wenige Licht, dass durch die zugezogenen Vorhänge fiel, bracht sich auf der goldenen Münze, als er sie über sein Gesicht hob. Nachdenklich drehte der Priester die Münze zwischen den Fingern hin und her. Jeden Abend betrachtete er diese Münze, die aus dem Beutel stammte, den der Elf ihm zum Abschied überlassen hatte. Ohne diese Münzen und Frau Elsbeth Schuster, die ihn regelmäßig nach Agilof fragte, hätte er sich sicher schon in Therapie begeben. Aber er hatte nicht geträumt und er war auch nicht verrückt. Er hatte letztlich die Wahrheit erkannt.

 – 1420 Wörter (inkl. Titel)

Behind the Scenes

Read in English

DE_Entw1 - buntTja, das ist heute schon die fünfte Geschichte meiner Wenigkeit zu dieser Aktion. Ich muss sagen mir macht es großen Spaß anhand eurer Bilder Geschichten zu schreiben und ich freue mich über jedes „Gefällt mir“ und jeden Kommentar.

Heute freue ich mich aber ganz besonders über alle unter euch, denen Christoph Jung bekannt vorkommt. Wer ihn schon kennt hat nämlich dann mein Weihnachts-ebook (etwas längere Kurzgeschichte ;) ) „Der Weihnachtself“ gelesen.
Die heutige Geschichte spielt nämlich ca. 1,5 Jahre nach den Ereignissen besagter Weihnachtsgeschichte. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich Jung noch einmal besuchen konnte, da ich meine Figuren in der Regel immer schnell ins Herz schließe. Er bildet da keine Ausnahme.

Ich freu mich natürlich auch sehr über jeden, der jetzt neugierig geworden ist und „Der Weihnachtself“ jetzt noch liest ;)

DarkFairy

P.S. Ihr wollte auch eine Geschichte zu einem eurer Bilder? Dann lest hier nach wie es geht: Dein Bild – Eine Geschichte.

Die Rechte des Bildes liegen bei Rüdiger Lange, die der Geschichte bei mir. Eine Nutzung oder Weitergabe ist ohne unsere jeweilige Genehmigung nicht erlaubt.

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Lies auf Deutsch

EN_Entw1 - bunt

Well, this today is already my humble selves fifth story for this project.
I have to say that I have a lot of fun to write stories for your pictures and I’m happy about each „Like“ and each comment.

Today I am especially happy for any one of you, who recognize Christoph Jung. Those who know him already then have read my Christmas-ebook (a somewhat longer story ;) ) „Der Weihnachtself“ (The Christmas Elve).
This story today is set about 1,5 years after said Christmas Story. I was really happy to revisit Jung again, as I generally start caring for my characters soon.
He is no exception there.

I’m also excited for every one, who is now curious and wants to read „Der Weihnachtself“ ;)

DarkFairy

P.S. You want to have a story for one of your pictures as well? Read here how it is done: Your Picture – A Story.

The rights for the story are mine, the ones for the pictures belong to Rüdiger Lange. Story and Picture are not to be used or copied without consent of either.