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(c) Jörg Becher

Verluste

Der schwere süße Duft der rosafarbenen Blüten hing schwer in der frühlingswarmen Luft. Insekten zirpten und surrten irgendwo im Gras.
Tizian stand auf einem der vielen Wege und ließ seinen Blick über die Gräber schweifen. Eigentlich war er hergekommen um den Ehrenfriedhof zu besuchen und den Gefallenen aus dem Krieg im Süden die Ehre zu erweisen. Nun aber hielt dieser prachtvoll blühende Baum seinen Blick gefangen. Ein flüchtiges, kaum sichtbares Lächeln huschte über sein Gesicht und in seinem Innersten stieg ein lang vergessenes Gefühl auf.
Das was er fühlte, war etwas wie Freude. Keine große überschwängliche oder alles erfüllende Freude. Es war eher ein Hauch davon. Wie ein sanfter warmer Frühlingshauch. Für einen Moment erfreute sich Tizian an der der Schönheit der Natur, glaubte, dass das Leben trotz aller Widrigkeiten die größte Macht sei. Doch dieser Moment war so schnell vergangen, wie er gekommen war.
Sein Blick fiel wieder auf die Gräber und als er sein Gewicht verlagerte, schossen altbekannte Schmerzen durch sein rechtes Bein. Tizian grunzte vor Schmerz und das warme Gefühl war verschwunden. An seine Stelle trat die einzige Gewissheit, die Tizian heute kannte: Letztlich obsiegte immer der Tod. Er rang das Leben nieder und nichts währt ewig außer ihm.

Tizian humpelte weiter.
Als er im Morgengrauen dieses Frühlingstages die Stadt erreichte, auf deren Friedhof er nun unterwegs war, hatte er gleich gewusst, dass er früher oder später zu den Kriegsgräbern gehen würde. In seiner Abteilung hatten viele Männer aus dieser Stadt mit ihm gedient.
Schweigend hinkte Tizian durch die Reihen kleiner, in die Wiese eingelassener und mit Namen gravierter Steinplatten. Hier gab es keine Blumen, keine aufwendigen Gräber nur diese schmucklosen Steinplatten auf der Erde. Tizian wusste nur zu gut wieso: Dies hier waren nur symbolische Gräber. Tizian hatte selbst einige der Männer, deren Namen er hier las, begraben. All diese Männer hier lagen fern der Heimat in fremder Erde und verrotteten. Alles was den Familien geblieben war, war eine kleine raue Platte mit einem Namen.
Während Tizian verbittert all diese Namen las, nahmen die Schmerzen in seinem Bein immer mehr zu. Ohne darauf zu achten, humpelte er weiter.

Plötzlich blieb Tizian wie angewurzelt stehen. Beorn Mahlk stand auf der Platte am Boden. Tizian wandte sich der Platte vollständig zu. Ein Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf. Langsam sank Tizian in die Knie, wobei er den brennenden Schmerz in seinem rechten Bein ignorierte. Beorn war tot. Dieser große Kerl, der fast immer ein Lachen auf den Lippen gehabt hatte, war tot.
Unzählige Bilder der gemeinsamen Schlachten und des Beisammenseins im Heerlager schossen Tizian durch den Kopf und schienen alle auf eine Situation hinauszulaufen. Beorn war es gewesen, der Tizian das Leben gerettet hatte, als das mit seinem Bein passiert war.
Tränen rannen Tizian übers Gesicht und tropften auf die Platte mit Beorns Namen. Er sollte dort, auf dem fernen Schlachtfeld liegen, nicht Beorn. Beorn hätte zurück in die Heimat fahren sollen, zurück zu seiner Familie, von der er stets gesprochen hatte. Voller Wut und Verzweiflung schlug Tizian mit der Faust auf die Steinplatte vor ihm.
Da fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm: „Bist du böse auf meinen Papa?“
Erschrocken fuhr Tizian herum.

Hinter ihm stand ein Mädchen von etwa 9 Jahren. Sie trug ein grünes Kleid, hatte lange nussbraune Zöpfe und die gleichen grauen Augen wie ihr Vater sie gehabt hatte. In der Hand hielt sie ein paar gelbe Narzissen.
„Bist du böse auf meinen Papa?“, wiederholte sie ihre Frage, als Tizian nichts sagte.
Schweigend schüttelte Tizian den Kopf.
„Du weinst ja.“, stelle die Kleine fest. „Ach so! Du bist traurig, weil Papa tot ist“, meinte das Mädchen dann und ihr Gesicht hellte sich etwas auf, als sie begriff. Langsam, aber ohne Scheu kam sie näher und hockte sich neben Tizian. Sie legte die Blumen auf der Gedenkplatte ab, sah zu Tizian und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Sei nicht traurig. Papa ist an einem schönen Ort.“
Tizian legte seine Hand über die ihre, die so klein und zierlich war, und drückte sie, während ihm wieder die Tränen übers Gesicht liefen. Hier saß er, ein gestandener Mann, ein Krieger, der von ausgerechnet dem kleinen Mädchen getröstet wurde, an dessen Vaters Grab er seine Tränen vergoss.
Geduldig und schweigend saß das Mädchen bei ihm und wartete, bis er sich wieder gefasst hatte.

Schließlich rang Tizian sich zu einem Lächeln durch und frage: „Wie heißt du, Kleine?“
„Mara.“
„Mara Mahlk?“
Die Kleine verzog das Gesicht. „Ja, ich weiß. Das hört sich doof an.“
Tizian lächelte. „Überhaupt nicht. Ich bin Tizian. Tizian Torn.“
Die Kleine strahlte. „Du kommst nicht von hier, oder? Papas Freunde, die hier wohnen kenne ich alle.“
Tizian schüttelte den Kopf.
„Dann komm mit. Mama hat sicher nichts dagegen, wenn du uns besuchst.“
„Ich glaube, dass ist keine so gute Idee. Aber ich werde dich nach Hause bringen.“
Mara hüpfte auf und wartete, dass auch Tizian sich erhob, doch dessen rechtes Bein war vom langen knien taub. Als er versuchte es zu belasten schossen sogleich Schmerzen von unglaublicher Intensität das Bein hinab. Tizian keuchte vor Schmerz und schaffte es nicht aufzustehen.
„Was ist denn mit dir?“, fragte Mara besorgt.
„Ich kann nicht aufstehen.“ Tizian überlegte einen Moment. „Am Tor zum Friedhof ist mein Pferd angebunden. Meinst du, du kannst es holen?“
„Das braune?“
Tizian nickte knapp.
„Das kann ich.“ Damit flitzte Mara auch schon los.
Tizian versuchte derweil sein Bein in eine bequemere Position zu bekommen, was sich allerdings als hoffnungslos erwies.

Es dauerte eine ganze Weile bis das Mädchen mit Tizians Pferd im Schlepptau zurückkehrte. Ihr Gesicht war rot und ihr Atem ging schnell vom Laufen.
„Gib mir die Zügel und geh etwas zurück“, ordnete Tizian an.
Mara tat wie ihr geheißen.
Das Pferd trat vorsichtig näher an seinen Herrn und stupste mit seinen Nüstern fast liebevoll gegen Tizians Schulter.
„Du musst mir mal wieder helfen, Pax, alter Freund“, raunte Tizian und strich seinem tierischen Gefährten sanft über die Blässe.
Das Pferd schien genau zu wissen, was sein Herr von ihm wollte und neigte willig den Kopf. Es ließ es zu, dass Tizian seinen Hals mit den Armen umschlang und sich an ihm hochzog. Das Pferd unterstützte Tizian durch ein Heben des Kopfes. Tizian keuchte vor Schmerz und hing schwer an seinem Pferd. Dieses aber kannte seinen Herrn und all seine Eigenheiten schon lange. Schließlich stand Tizian wieder aufrecht, wenn auch hauptsächlich auf das linke Bein gestützt.
„Komm her“, sagte er schließlich zu Mara, die das Ganze etwas eingeschüchtert von Tizians Schmerzenslauten verfolgt hatte.
Verunsichert trat das Mädchen näher. Tizian hob sie ohne ein weiteres Wort in den Sattel.
„Hast du schon mal auf einem Pferd gesessen?“, fragte Tizian.
Mara schüttelte den Kopf.
„Hab keine Angst. Ich werde dich festhalten.“
Damit schwang Tizian sich ebenfalls in den Sattel und biss dabei die Zähne zusammen. Er hätte mehr auf sein Bein achten müssen. Nun aber versuchte er die Schmerzen zu ignorieren und nahm die Zügel so, dass Mara zwischen seinen Armen saß und sich ebenfalls an den Zügeln festhalten konnte.
„Dann auf, Pax. Bringen wir Mara nach Hause.“

~ 1175 Wörter inkl. Titel

Behind the scenes

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DE_Entw1 - buntSeid gegrüßt.

Es wurde mal wieder dringend Zeit für eine neue Geschichte von mir.
Ich hatte ein unglaubliches Verlangen Tizian nochmal zu besuchen. Ich habe mir also die Bilder angeschaut, die ich noch offen hatte und auf eine Eingebung gewartet. Von diesem Bild hier kam ich dann nicht mehr los. Was passt auch besser zu Tizian – dem armen Kerl – als ein Besuch auf dem Friedhof?!

Achso: Man ignoriere bitte, dass man im Hintergrund auf dem Bild Autos sehen kann… und Plastikfolie. Ignoriert einfach alles hinter dem Baum >.<
Leider sind mir Folie und Autos erst aufgefallen, als ich quasi fertig war mit der Geschichte ^^‘

Liebe Grüße
DarkFairy

P.S. Ihr wollt auch eine Geschichte zu einem eurer Bilder? Dann lest hier nach wie es geht: Dein Bild – Eine Geschichte.

Die Rechte des Bildes liegen bei Jörg Becher, die der Geschichte bei mir. Eine Nutzung oder Weitergabe ist ohne unsere jeweilige Genehmigung nicht erlaubt.

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Lies auf Deutsch

EN_Entw1 - buntTranslation follows soon

P.S. You want to have a story for one of your pictures as well? Read here how it is done: Your Picture – A Story.

The rights for the story are mine, the ones for the pictures belong to Jörg Becher. Story and Picture are not to be used or copied without consent of either.